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Perspektive der Verdrängten - Sondertour zur defensiven Architektur
Am 11.01. nahm DEFUS am Stadtrundgang von Querstadtein e.V. "Perspektive der Verdrängten - Sondertour zur defensiven Architektur" in Berlin teil. Thema der Begehung in Berlin war die Wahrnehmung von Raumgestaltung und Stadtplanung durch wohnungs- und obdachlose Menschen - und wie diese sich durch Gestaltungsentscheidungen eingeschränkt oder aus Räumen verdrängt sehen.
Dabei ging es vor allem um klassische Aspekte der städtebaulichen Kriminalprävention wie Zugangskontrolle (sind Toiletten zahlungspflichtig und mit welchen Mitteln?), Sichtachsen, Blickwinkel, Beleuchtung und Sichtschutz (Wie wird ein Park neu angelegt?), Robustheit und Objektgestaltung (Welche Materialien werden für Sitzgelegenheiten, Wege und Mobiliar verwendet?). Der Begriff der defensiven Architektur beschreibt hier einen Ansatz, der bestimmte unerwünschte Nutzungsweisen von vornherein für die jeweiligen Nutzergruppen weniger attraktiv macht. Das Schlafen oder Skaten auf Bänken wird beispielsweise durch Armlehnen, den Winkel der Sitzflächen, eingelassene Metallkeile oder ungleichmäßige Konturen erschwert. Die Übernachtung oder der unbeobachtete Aufenthalt in Parks werden durch den Beschnitt von Bäumen, Hecken und das Auflösen schwer einsehbarer Bereiche reduziert.
In der anschließenden Diskussion stellte sich schnell heraus, dass es für viele dieser als defensiv empfundenen Maßnahmen eine alternative Erklärung gibt: harte Materialien wie Asphalt, Metall und Beton sind zwar meist weniger bequem und bei kalten Temperaturen eher ein Gesundheitsrisiko als ein Schlafplatz. Sie sind zugleich aber robuster, leicht und seltener zu pflegen, langfristig also weit weniger wartungsintensiv und damit deutlich günstiger als Holz und Naturprodukte. Befestigte Untergründe sind barrierefreier als weicher Sand, angepasste Sichtachsen und Beleuchtungskonzepte können die soziale Kontrolle stärken und die Entstehung von Angsträumen verhindern.
Die empfundene Wirkung auf die betroffenen Personen mit Lebensmittelpunkt Straße ist allerdings eine andere: es verschwinden wichtige Schutz- und Rückzugsräume, ohne dass notwendigerweise Alternativen zur Verfügung stehen. Viele der in der Begehung aufgeworfenen Probleme sind Planenden dabei oft gar nicht präsent und selbst lokale Beteiligungsformate hätten Schwierigkeiten bei der strukturierten Einbindung von wohnungs- und obdachlosen Menschen, um mit diesen Einwänden frühzeitig und produktiv umzugehen. Auch kommt es bei der Umgestaltung von Räumen stark auf den angestrebten Zweck und die Federführung im Projekt an, besonders mit Blick auf private oder öffentliche Träger.
Für die Arbeit von DEFUS wurde hier erneut deutlich, wie sehr sich die Unsicherheitswahrnehmungen und Nutzungskonzepte von öffentlichen Räumen zwischen den Nutzergruppen unterscheiden, und wie schnell Stadt- und Raumplanung den Eindruck gezielter Verdrängung erwecken kann. Die Gestaltung sicherer, offener und zugangsfreier Räume für Alle bleibt eine immense interdisziplinäre Aufgabe für Städte.
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