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Diversitätspolitik als Basis des friedlichen Zusammenlebens
Deutschland wird bunter, älter und vielfältiger und es zählt zu den sichersten Ländern der Welt. Dennoch steigt die Angst vor Kriminalität. Im aktuell aufgeheizten politischen Diskurs werden immer häufiger Unsicherheit, Migration und gescheiterter Integration in Verbindung gebracht. Der Frage, ob es eine Verbindung zwischen Sicherheit, Migration und Integration gibt und wie das friedliche Zusammenleben in Zukunft organisiert werden kann, sind 70 Teilnehmer*innen und Referent*innen im Rahmen der gemeinsamen Fachtagung von DHPol und DEFUS "Die Organisation des friedlichen Zusammenlebens im Spannugsfeld Migration, Integration und Sicherheit" nachgegangen.
Im Laufe der Tagung stellte sich deutlich heraus, dass die Frage nach der Sicherheit für wen und der Angst vor was nicht präzise genug gestellt und oft einseitig betrachtet wird. Zum Beispiel schüren zunehmende rassistische Übergriffe und Straftaten gegen vermeintlich fremde Menschen Angst und Unsicherheit in großen Teilen der Bevölkerung. Soufeina Hamed, Psychologin und Comiczeichnerin, stellte klar, dass es immer wichtig sei, zu reflektieren über wessen Angst vor was wir reden. Ein gemeinsames Ziel muss es sein, die Ängste aller Menschen in Deutschland zu reduzieren. Für sie bedeutet Vielfalt zugleich auch Sicherheit und sie wünschte sich, dass Polizei und Kommune sich ihres Einflusses und ihrer Außenwirkung auf die Akzeptanz von Vielfalt bewusster werden. Vielfalt wird in der Stadt Stuttgart schon seit vielen Jahren als Bereicherung und Mehrwert gesehen berichtete Dr. Martin Schairer. Die Stadt mit dem deutschlandweit höchsten prozentualen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund versteht sich als „Arrival City“ in der jeder, der dort wohnt, Stuttgarter ist.
Fünf wissenschaftliche Projekte, die zu der Frage von Sicherheit, Vielfalt und Integration arbeiten stellten erste Forschungsergebnisse vor und diskutierten diese mit den Teilnehmer*innen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass das Sicherheitsgefühl eher durch Ordnungswidrigkeiten als durch Migration beeinflusst wird. Auch die Segregation in deutschen Städten wird deutlich stärker durch soziale Faktoren, wie das Einkommen, beeinflusst als durch ethnische Zugehörigkeit. Polizei und Kommunen müssen sich an die sich verändernde Gesellschaft in Deutschland anpassen. Dazu gehören sowohl die Ausbildung aber auch die Kommunikation mit dem Bürger. Staatliches Personal muss diverser werden ohne dabei dem Missverständnis zu unterliegen, dass Migrationshintergrund zugleich interkulturelle Kompetenz bedeutet.
Polizei und Kommune sind starke Akteure im medialen Diskurs. In diesem Kontext ist es besonders wichtig, auf die Sprache zu achten. Sprache formt den Eindruck, den die Bürger*innen von der Sicherheitslage in Deutschland haben. Bemängele zum Beispiel ein Polizeigewerkschaftler wiederholt wie überlastet die Polizei sei, müsse man sich nicht wundern, wenn dann beim Bürger der Eindruck entsteht, die Polizei habe die Lage nicht mehr im Griff. Rassismus ist weit verbreitet in Deutschland und der Staat, also ganz entscheidend auch Polizei und Kommunen, dürfen rassistische Haltungen nicht durch Sprache untermauern und damit manifestieren. Aslı Sevindim fordert, dass Polizeipräsidenten und Bürgermeister ihre Sprache und ihre Wortwahl überdenken. Denn wo Zuschreibungen gemacht werden, realisieren sie sich.
Die Stadt Freiburg ist bekannt als Idyll im Süden der Bundesrepublik. Durch zwei Einzeltaten, an denen Geflüchtete tatverdächtig bzw. Täter waren, und die mediale Berichterstattung darüber hat die gefühlte Sicherheit in Freiburg stark abgenommen. Durch klares rechtsstaatliches und integrationspolitischen Handeln konnten Polizei und Kommune gemeinsam zurück zu einer positiven Gestaltung der Stadt und der Stadtgesellschaft kommen. Polizeivizepräsident Matthias Zeiser und Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach stellten die Maßnahmen der Stadt Freiburg vor.
In der Podiumsdiskussion mit Christian Kromberg, Dr. Irene Mihalic, Thomas Model, Thomas Müller, Claus Preißler und Dr. Maria Scharlau waren sich alle einig, dass die Organisation des friedlichen Zusammenlebens eine Mammutaufgabe Jahre ist.
Der Staat hat die menschenrechtliche Verpflichtung, für größtmögliche Sicherheit für alle Menschen im Land zu sorgen. Dennoch nehmen rassistische Gewalttaten zu. Trotz Präventionsprogrammen und jahrelanger Anstrengungen ist es nicht gelungen, die seit vielen Jahren in der Bevölkerung weit verbreiteten und für die Radikalisierung von Rechtsextremisten mitverantwortliche negative Einstellung gegenüber Menschen mit vermeintlichen oder tatsächlichen Migrationserfahrungen zu reduzieren. Dabei liegen eindeutige Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen, die mittels Kontakt Vorurteile reduzieren vor. Es hapert allerdings bisher an der Umsetzung, auch auf Grund mangelnder Förderung.
Auch die gesellschaftliche Teilhabe, die im Rahmen von Integrationsmaßnahmen angestrebt wird, hat einen nachweislichen positiven Effekt. Allerdings stellt sich die Frage ob Integration noch das richtige Konzept ist. Denn auch bei den „Herkunftsdeutschen“ gibt es Menschen, die sozial abgehängt sind, deren gesellschaftliche Teilhabe nicht stattfindet und die man als nicht integriert bezeichnen könnte. Die Stadt Mannheim betreibt seit vielen Jahren aktiv Diversitätspolitik und ist mit dem Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt Vorreiter in Deutschland. Dort hat sich die Erkenntnis etabliert, dass eine gute Diversitätspolitik besser funktioniert als Integrationspolitik und dies die beste Grundlage für eine erfolgreiche Sicherheitspolitik ist.
Die Quintessenz der Diskussion war die Erkenntnis, dass es ein positives Narrativ braucht, mit dem sich alle in Deutschland lebenden Menschen identifizieren können. Vielfalt muss als Realität und Normalität anerkannt und gemeinsam entlang demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien gestaltet werden. So können wir es schaffen, dass alle in einer offenen Gesellschaft frei und sicher leben und die Potentiale der Vielfalt nutzen können.
Prof. Dr. Toprak rundete die Veranstaltung mit einem Rückblick in die Geschichte der Einwanderung nach Deutschland ab und schärfte humorvoll den Blick auf die vielen Fehler, die in der Integrationspolitik in Deutschland begangen wurden. Die Unterteilung der Bevölkerung in Nicht-Migranten und Migranten funktioniert nicht mehr, denn inzwischen fühlen sich auch viele Menschen in Deutschland Zugehörig, die leider immer noch von vielen als Fremde wahrgenommen werden. Das müssen wir ändern.
Gemeinsam mit der DHPol wird DEFUS die Ergebnisse der beiden Fachtagungen zu Sicherheit im öffentlichen Raum im Januar und zu Sicherheit und Integration in einem Sammelband veröffentlichen. Der Sammelband soll in der zweiten Jahreshälfte 2020 erscheinen.